martes, 4 de septiembre de 2012

Das Aleph -fragment- (versión alemana)

Nun komme ich zum unsagbaren Mittelpunkt meines Berichts; hier beginnt meine Verzweiflung als Schriftsteller. Alle Sprache ist ein Alphabet aus Symbolen, deren Anwendung eine den Gesprächspartnern gemeinsame Vergangenheit voraussetzt; wie soll ich anderen das unendliche Aleph mitteilen, das mein furchstsames Gedächtnis kaum erfaßt? Die Mystiker helfen sich in einer ähnlichen Klemme mit einer Fülle von Emblemen: um die Gottheit zu bezeichnen, spricht ein Perser von einem Vogel, der irgendwie alle Vögel ist; Alanus ab Insulis von einem Kreis, dessen Mittelpunkt überall, dessen Umfang aber nirgendwo ist; Ezechiel von einem Engel mit vier Gesichtern, der sich gleichzeitig nach Osten und Westen, nach Norden und Süden wendet. (Nicht umsonst erinnere ich an diese unbegreiflichen Analogien; sie stehen mit dem Aleph in einer gewissen Beziehung.) Vielleicht würden auch mir die Götter den Fund eines entsprechenden Bildes nicht versagen, aber dann wäre dieser Bericht kontaminiert von Literatur, von Falschheit. Überdies ist das Kernproblem unlösbar: die Aufzählung, wenn auch nur die teilweise, eines unendlichen Ganzen. In diesem gigantischen Augenblick habe ich Millionen köstlicher oder gräßlicher Vorgänge gesehen; keiner erstaunte mich so sehr wie die Tatsache, daß sie alle in demselben Punkt stattfanden, ohne Überlangerung und ohne Transparenz. Was meine Augen sahen, war simultan: was ich beschreiben werde, ist sukzessiv, weil die Sprache es ist. Etwas davon will ich gleichwohl festhalten.

Im unteren Teil der Stufe, rechter Hand, sah ich einen kleinen regenbogenfarbenen Kreis von fast unerträglicher Leuchtkraft. Anfangs glaubte ich, er drehe sich um sich selber; spätter begriff ich, daß diese Bewegung eine Illusion war, hervorgerufen durch die schwindelerregenden Schauspiele, die er barg. Im Durchmesser mochte das Aleph zwei oder drei Zentimeter groß sein, aber der kosmiche Raum war darin, ohne Minderung seines Umfangs. Jedes Ding (etwa die Scheibe eines Spiegels) war eine Unendlichkeit von Dingen, weil ich sie aus allen Ecken des Universums deutlich sah. Ich sah das belebte Meer, ich sah Morgen- und Abendröte, ich sah die Menschenmassen Amerikas, ich sah ein silbriges Spinnennetz im Zentrum einer schwarzen Pyramide, sah ein aufgebrochenes Labyrinth (das war London), sah unzählige ganz nahe Augen, die sich in mir wie in einem Spiegel ergründeten, sah alle Spiegel des Planeten, doch reflektierte mich keiner, sah in einem Durchgang der Calle Soller die gleichen Fliesen, die ich vor dreißig Jahren im Flur eines Hauses in Fray Bentos gesehen hatte, ich sah Weintrauben, Schnee, Tabak, Metalladern, Wasserdampf, ich sah aufgewölbte Wüsten am Äquator und jedes einzelne Sandkorn darin, sah in Inverness eine unvergeßliche Frau, sah das unbändige Haar, den hochgemuten Körper, sah eine Krebsgeschwulst in der Brust, sah einen Kreis trockener Erde auf einem Pfad, wo vordem ein Baum gestanden hatte, sah in einem Landhaus in Adrogué ein Exemplar der ersten englischen Pliniusübersetzung, der von Philemon Holland, sah gleichzeitig jeden Buchstaben auf jeder Seite (als Kind wunderte ich mich immer, daß die Lettern in einem geschlossenen Buch nicht bei Nacht durcheinandergeraten und sich verirren), ich sah die Nacht und den Tag gleichzeitig, sah einen Sonnuenuntergang in Querétaro, der die Farbe einer Rose in Bengalen widerzustrahlen schien, sah mein Schlafzimmer und niemanden darin, sah in einem Kabinett von Alkmaar einen Globus zwischen zwei Spiegeln, die ihn endlos vervielfältigen, sah Pferde mit zerstrudelter Mähne auf einem Strand am Kaspischen Meer in der Morgenfrühe, sah das feine Knochengerüst einer Hand, sah die Überlebenden einer Schlacht, wie sie Postkarten schrieben, sah in einem Schaufenster in Mirzapur ein spanisches Kartenspiel, sah die schrägen Schatten von Farnen am Boden eines Treibhauses, sah Tiger, Dampfkolben, Bisons, Sturzfluten und Heereszüge, sah alle Ameisen, die es auf der Erde gibt, sah ein persisches Astrolabium, sah in einer Schublade des Schreibtischs (und beim Anblick der Handschrift erbebte ich) obszöne, unglaubliche, eindeutige Briefe, die Beatriz an Carlos Argentino geschrieben hatte, sah ein angebetetes Denkmal auf dem Chacarita-Friedhof, sah die gräßliche Reliquie dessen, was so köstlich Beatriz Viterbo gewesen war, sah das Kreisen meines dunklen Blutes, sah das Räderwerk der Liebe und die Veränderung des Todes, sah das Aleph aus allen Richtungen zugleich, sah im Aleph die Erde und in der Erde abermals das Aleph und im Aleph die Erde, sah mein Gesicht und meine Eingeweide, sah dein Gesicht und fühlte Schwindel und weinte, weil meine Augen diesen geheimen und gemutmaßten Gegenstand erschaut hatten, dessen Namen die Menschen in Beschlag nehmen, den aber kein Mensch je erblickt hat: das unfaßliche Universum.




Jorge Luis Borges. Das Aleph, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2011, seiten 143-145.

Jorge Luis Borges. El Aleph, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2011, páginas 143-145.

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